Test Moto Guzzi v 1000 I -Convert
Motorrad 2/76

Schlaf-Wandler

Der erste Gang bringt sie in 7 Sekunden auf 100 km/h und reicht spielend bis 130. Man kann aber auch im zweiten Gang aus dem Stand beschleunigen, ohne Schalten hinauf zur Spitze, über 160 km/h. Mehr Gänge hat sie nicht, und Kuppeln muß man nur für Gangwechsel, nicht fürs Anfahren. Das geht durch l-Convert: l bedeutet idraulico, Convert steht für Convertitore. Zu deutsch: Die 1000er Guzzi hat einen hydraulischen Drehmoment-wandler, ein Stück Automatik.
Die Kupplungshand hat nur Bereitschaftsdienst, denn der Schaltfuß tritt selten in Aktion. Gewünscht hat es sich die Polizei in Amerika: Endlich Schluß mit der Hebel-Akrobatik beim Eskortieren und im Cityzirkus.
Das mußte ja kommen, nicht nur für dort — sondern auch für zivil. Keilriemen-Automatik wie bei Mofas würde fürs Motorrad zu groß und zu schwer, aber ein hydraulischer Wandler ist kein zu dickes Ding.
Bisher hatte sich auf zwei Rädern noch niemand drangewagt, seit Imperia in Bad Godesberg es anno 1935 versuchte. Das war eine 500er mit ZweitaktLadepumpen-Boxer ohne Gänge, Wandler statt Schaltgetriebe. Es blieb beim Prototyp kurz vor der Pleite jener Idealisten. Althistorisch ist der Wandler als deutsches Geisteskind zur Welt gekommen: Reichspatente schon von 1905 standen Pate, Professor Hermann Föttinger (1877-1945) hat sich mit der Verwirklichung sein Denkmal gesetzt. Die Amerikaner stiegen bei Autos groß ein, als hierzulande noch Zähne krachten, aber Europa zog mit Entwicklungen für kleinere Motoren nach.
Der Wandler in der Guzzi kommt aus Schweinfurt von Fichtel & Sachs. Eine Spezialentwicklung ist er nicht, jedes Werk kann ihn kaufen. Als er uns 1973 bei der IAA in Frankfurt nach Motorrad roch, liefen die Versuche in Mandello del Lario schon. Wir brachten damals die erste Meldung, zum Sommer 1975 begann die Produktion. Die Guzzi-Konkurrenten warten ab. Wenn nötig, können sie schnell nachziehen, das System ist kein Hexenwerk.

Wandler-Theorie (trotzdem lesen)

Was ein hydraulischer Drehmoment-wandler ist, weiß man vom Auto. Falls man es nicht weiß: Reibungskupplung wegdenken, Gehäuse voll HydraulikFlüssigkeit hindenken, drinnen am Ende der Kurbelwelle ein Schaufelrad, genannt Pumpenrad. Bei laufendem Motor erzeugt es Strömung gegen die Schaufeln eines Turbinenrades, das mit der Abtriebswelle verbunden ist. Bei steigender Motordrehzahl wird das Turbinenrad durch die Strömung angetrieben: Stufenloses automatisches Einkuppeln auf hydraulische Weise.
Diese Strömungskupplung wird zum Drehmomentwandler durch ein sogenanntes Leitrad im Rückstrom: So lange beim Beschleunigen das Pumpenrad schneller dreht als das Turbinenrad, wird der Rückstrom durch das Leitrad so gelenkt und abgestützt, daß er die Anströmung des Turbinenrads verstärkt. Diese Wiederverwendung bringt erhöhtes Drehmoment für den Abtrieb, Drehmomentwandel. Sobald Pumpenund Turbinenrad gleichlaufen, wird das feste Leitrad ungünstig; es hat deshalb bei üblicher Bauart (Trilok) einen Freilauf. Tiefer in Physik und Ausführung brauchen wir hier nicht einzusteigen, wichtig ist nur der Effekt: Drehmomentwandel besagt stufenlose Obersetzungsänderung zwischen Antrieb und Abtrieb in einer gewissen Spanne. Das spart Gänge ein. Da der Wandler stufenlos den KraftschluB zu einem hochgerückten ersten Gang herstellt, kann dieser beim günstigen Leistungsgewicht der Guzzi als Fahrgang gestuft werden, und im großen Gang kann man durch den Wandler ebenso aus dem Stand anfahren. Für das Schalten dieses Zweiganggetriebes ist jedoch eine Trennkupplung nötig, da ja der Wandler kraftschlüssig ist.

Getriebe-Vollautomatik wie bei Autos kommt fürs Motorrad nicht in Frage: Es haut den besten Fahrer um, wenn er in der Kurve oder in sonstigen heiklen Lagen den Schaltzeitpunkt nicht haargenau selbst bestimmen kann. Halbautomatik ist diskutabel: Schalten mechanisch, Trennkupplung automatisch beim Berühren des Schalthebels. Aber das baut fürs Motorrad zu groß, und der Kupplungsvorgang läuft nicht blitzschnell. Also hat die Guzzi eine handbetätigte Mehrscheiben-Trockenkupplung.
Bei Motorleerlaut im Stand könnte man den Gang ohne Handkuppeln hineintreten, da ja der Wandler als Strömungskupplung außer Kraft ist. Man darf es aber nicht, denn das Pumpenrad produziert auch im Leerlauf etwas Druck, und jedes Getriebe muß beim Schalten voll entlastet sein. Deshalb auch in Fahrt stets voll auskuppeln, schnellstes Schalten ist hier ohnehin nicht so wichtig.
Ebenso wäre es falsch, die Handkupplung fürs Anfahren zu benutzen. Es geht zwar so normal, daB ein ahnungsloser Fahrer nichts von Automatik merkt. Aber der Wandler kuppelt verschleißfrei, zudem würde sein Drehmomentaufbau die mechanische Kupplung nur unnötig strapazieren.

Wandler-Praxis

Fahren nur mit Gas und Bremse, gelegentlich schalten, das ist Sinn der I-Convert. Sie tut es so interessant, daß man erst mal freudig erregt durch Stadt und Land kreuzt, ehe man über Gewußt-wie nachdenkt. Sie erspart es nicht automatisch und spendet Diskussionsstoff pro und kontra.
Zunächst ein Blick auf die Maschine: Die große Guzzi mit Quer-V-Twin (90° ohv) und Kardan erschien vor 11 Jahren in Gestalt der V7, den hohen Entwicklungsstand der jetzigen Modellreihe brauchen wir nicht mehr vorzustellen. Die V 1000 l-Convert bekam ihre 949 ccm durch Vergrößerung der Bohrung des 850er Motors von 83 auf 88 mm, Hub unverändert 78 mm. Ihre Ausstattung entspricht der California: mit Trittbrettern, Bügeln, Gepäckkästen und Scheibe. Die I-Convert sieht durch ihre flachere, einfarbige Bank weniger nach USA aus, etwas gestreckter auch durch die Blechverkleidung des Rückleuchtenträgers und den Silbergrau Lack der Testmaschine Schwarz gibt's auch. Die Keksdosendeckel an den vorderen Bügeln wurden als Spoiler vorgestellt, sie dienen aber vor allem als Signalhornblenden. Der Instrumentenblock enthält keinen Drehzahlmesser, das Tachometer mit Tageszähler ist von zehn Leuchten und zwei Schaltern umgeben, siehe Bild und Bildtext.
Mit Schaltgetriebe gibt es den 1000er Motor nicht: Er soll rundes Drehmoment für den Wandler bringen. Spitzige Leistungscharakteristik würde sich nicht eignen, denn der Strömungstrieb schluckt PS durch Flüssigkeitsreibung und hat nicht im gesamten Drehzahlbereich seinen optimalen Wirkungsgrad. So darf man von vornherein nicht erwarten, daß die 1000er mehr Dampf hätte a!s die 850er. Beim Beschleunigen bis um 100 liegen sie etwa gleich, ein Plus für die I-Convert ergibt sich aus dem weitgehenden Wegfall von Schaltpausen, doch ist die T 3 California um ca. 10 km/h schneller, und bei gleicher Fahrweise kostet der größere Hubraum in Verbindung mit der Automatik ca. 0,5 Liter/100 km mehr Verbrauch: Knapp 7 Liter bei herzhaftem Fahren, bis zu wenig über 5 Liter hinunter bei sanfter Sonntagsfahrt. Speed-Modell der V-Reihe ist ja bekanntlich auch nicht die 850 T 3, sondern die 750 S 3 und für höchste Ansprüche neu die 850 Le Mans.
Selbstverständlich ist die V 1000 I-Convert der schwerste Brocken in der Familie, aber ihre 240 kg sind doch nur 15 kg Mehrgewicht gegenüber der California, die Normal-850 wiegt 216 kg, die Honda Gold Wing immerhin 265 kg alle Gewichte sind rund und „trokken" angegeben.
In Fahrt zählt ohnehin der Kontakt zwischen Fahrer und Maschine. Da ist die Guzzi nicht schwerfällig, und der Wandler wandelt etliche Begriffe, mit denen man zu rechnen gewöhnt ist.
Spezielles: Die tadellose Seltenstütze zjeht nicht nur eine gesonderte Bremse an, sie schaltet auch die Zündung kurz. Ist sie eingeklappt, so funktioniert der Anlasser nur bei gleichzeitigem Ziehen der Handkupplung. Und der Notschalter neben dem Gasgriff (off-on-off) muß auf „on" stehen. Das sind Absicherungen gegen Automatik-Teufelei: Wenn man einfach mit Gas anläßt oder den Motor wie gewohnt etwas hochschnurren will, fährt die l-Convert an, mit oder ohne Fahrer und im zweiten wie im ersten Gang.
Eine Leerlaufposition des Getriebeschalthebels ist nicht vorgesehen, wenn auch ganz schmal vorhanden und für Einstellarbeiten nutzbar. Also: Mit Trennkupplung anlassen. Ausgekuppelt lassen, bis der Motor-Leerlauf sich stabilisiert hat. Einkuppeln ohne Gas. Jetzt ist die Maschine bereit, auf Gasgeben anzufahren, sanft wie die Morgenröte oder mit wuchtigem Spurt, ganz wie man will.
Der Motorleerlauf muß schön rund und niedertourig sein, bei der Guzzi kein Problem. Schon bei kaum ausgekühlter Maschine braucht man die Starthilfe am Vergaser, die dadurch etwas erhöhte Leerlaufdrehzahl bringt Zug in den Wandler, der sonst nur minimales Leerlaufkriechen erzeugt. Man kann die Maschine aber auch gegen noch höhere Drehzahl mühelos mit der Bremse halten. Auf diese Weise Drehmoment „speichern" zu wollen, zwecks Kavalierstart, wäre natürlich falsch. Anschieben ist nichts, der Wandler wird bei so geringer Drehzahl vom Abtrieb her nicht kraftschlüssig. Bei mehr als ca. 60 km/h geht es, man kann die Maschine also an reichlich Gefalle oder durch Anschleppen in Gang bringen.

Spitzentanz

Mit etwas Gas gegen die Bremse kann man die fast stillstehende Maschine manövrieren: Spitzentanz auf Rädern, Slalom im engsten Wendekreis ohne übliche Kupplungszauberei und jederzeit bereit, die volle Beschleunigung hochjubeln zu lassen.
Das ist wahrhaftig ein erfüllter Traum für Motorradpolizisten wie für jedermann im Stadtverkehr, aber auch beim Oberholen draußen in Kolonnen und für Komfort überhaupt. Wer mal das Gelb vor Grün verträumt, ist dann doch schneller am Ball als die meisten Fahrer mit Kuppeln und Schalten. Beim Spurt im zweiten Gang holt der Wandler die Maschine fast ebenso zügig an den Drehzahlanschluß hoch.
Mitdenken erspart der Wandler aber doch nicht ganz. Mit etwas Aufmerksamkeit bekommt man auf wenigen Kilometern ins Gefühl, ob er kraftschlüssig ist, also die Gangübersetzung voll hergestellt hat man hört es, die Motordrehzahl variiert nicht mehr wie bei einer rutschenden Reibungskupplung, die ja auch Drehmoment wandelt. Abwürgen gibt es nicht; wenn der Antrieb es nicht schafft, den Abtrieb voll mitzuziehen, wird der Wandler durch das Quirlen des voreilenden Pumpenrads heiß, bei Oberforderung der Flüssigkeit kann es schließlich zu Zerstörungen kommen.
Damit muß man bei der Guzzi nicht rechnen, es ist ein Problem z.B. für Autos mit Anhänger bei Schleichfahrt im Gebirge. Im Prinzip sollte man aber daran denken und die Gänge so einsetzen, wie sie gedacht sind. Vor dem Motor befindet sich ein Kühler für die Hydraulik-Flüssigkeit, auf eine Anzeigeleuchte für Obertemperatur konnte verzichtet werden. Ein Drehzahlmesser, mit dem man den Wandler-Effekt vor Augen hätte, ist beileibe nicht nötig, wäre aber interessant.
Auf unwegsamen Straßen oder gar im Gelände hat der Wandler manches für sich, da man keine Schaltund Kupplungsfehler machen kann. Aber Automatik mit Wandler hat ein Problem auf Glätte: Sobald das Rad faßt, baut der Wandler Drehmoment auf. Bei geringer Haftreibung wird es sofort zu viel, auch im zweiten Gang, das Rad rutscht wieder durch. Da greift man besser zur Handkupplung.
Motorbremswirkung baut der Wandler aufs Gaswegnehmen zügig auf, er schaltet in seiner Spanne stufenlos abwärts, aber nicht sehr schnell, im zweiten Gang scheint der Motor ungewohnt nachzuschieben, man muß auch im ersten Gang mehr mit der Bremse nachhelfen als bei einem normalen Getriebe. Auf Glätte kann es peinlich werden, daß der Wandler ein kleiner Mann mit Eigenwillen ist. Beim Beschleunigen bekommt man das Gespür für die dritte Kraft da unten weit besser als beim Gaswegnehmen. Am besten geht es erst mal im zweiten Gang plus Bremsen. Hingelegt haben wir die Testmaschine auch auf Spiegelglätte nicht. In der Kurve ist der Wandler kein Angstfaktor, wie man befürchten könnte. Kein harter Impuls vom Antrieb wirkt aufs Hinterrad, und auch In Grenzlagen kann der Drehmomentwandel durch seine sanfte Stufenlosigkeit nicht plötzlich die letzte Bodenhaftung kosten. Auch die Starrheit des Kardanantriebs wird gemildert. Es ist ein Erlebnis, die I-Convert mit ihrer kraftvollen Drehmomentwandlung aus der Kurve hochzuziehen. Mit üblicher Mehrgangschaltung ist der Leistungseinsatz natürlich präziser und bietet den SpaB am Ausspielen von Gang-Spannweiten. Um jedoch bei gleicher Leistung im Schnitt schneller zu fahren als mit der I-Convert, muß man viel können.
Zudem liegt die große Guzzi so satt und spursicher, daß man kaum über letzte Grenzprobleme nachdenken muß. Lenkgeometrie, Federung, Stoßdämpfung, Schwerpunktlage und Radlasten sind harmonisch komponiert. Drücken in der Kurve bringt nichts. Wenn man die Maschine ganz gelassen durch die Kurve zieht, ist sie oft schon schneller, als man es vom Gefühl her vermutet, zumal man durch den Wandler keine ganz genaue Motordrshzahl im Ohr hat.
Hubraum und Schwungmasse mitsamt der wandlergerechten Drosselung machen den Motor zu einem undramatischen Tourer. V-Motoren sind nicht die laufruhigsten, aber Guzzi baut die laufruhigsten V-Motoren, bei der I-Convert ist kein Kribbeln in Trittbrett oder Lenker als Komfortminderung zu tadeln, sie ist auch im Auspuff beachtlich leise, und wenn die Liebe durchs Ohr kommt:Der sonore Klang mit dem unverwechselbaren Doppelschlag des V-Motors läßt auch das Herz höher schlagen. Ein Guzzi-Ding für sich ist das Integral

Bremssystem: Gemeinsame Betätigung der hydraulischen Scheibenbremsen hinten und (linke Scheibe) vorn, Handhebel auf die rechte Scheibe vorn. Die Koppelung bringt besseren Ausgleich als es die meisten Fahrer manuell schaffen. Guzzi kann sich diese Art der Koppelung bei dem äußerst kurssicheren Fahrwerk leisten, eine Schreckbremsung bringt sie nicht aus der Spur, und vor allem geht sie nicht hinten weg wie sonst bei Oberdosierung der Fußbremse. Etwas Training ist aber ratsam. Im Zweifelsfall die Hand-Vorderradbremse etwas voreilen lassen und zum Integral-Bremsen zulegen, nicht einfach auf den Fußhebel tapsen. Fürs richtige Gefühl muß man den Fuß auf die dafür bestimmte Hackenraste setzen. Bei freiem Treten kann man auf Nässe und Glätte doch leicht mal überbremsen, die Obersetzung des Gestänges ist nicht das Optimum.
Eine der vielen Warnleuchten signalisiert, wenn die mechanische Bremszange durch die ausgeklappte SeitenStütze als Parkbremse funktioniert, die übrigen siehe Bild und Bildtext, und alle diese Leuchten sind am Tag für die Katz, weil viel zu matt, nicht zu sehen. Bei Fehlersuche ist manches elektrische Detail ein Graus, wie überhaupt die geballte Ladung Mechanik und Hydraulik bei Reparaturen schwer in die Kasse gehen kann. Unser Kummer mit einem Kupferwurm und Olerei wird aber vom Werk glaubhaft als Nullserien-Pech bezeichnet — Maschinen für die TÜV-Abnahme müssen viel mitmachen. Nach elf Jahren V 7 und bei dem anspruchsvollen Kundenkreis sei man gerade auf Dauer-Zuverlässigkeit versessen.

Alles in allem

Ob man den Wandler als süßes Gift oder als Offenbarung nimmt, ist Weltanschauung. Objektiv kommt in Zukunft keine Prinzip-Diskussion an ihr vorbei. Wer sie gefahren hat, wird beim nächsten Vielgang-Motorrad in dieser Komfortklasse unweigerlich daran denken, daß es auch so geht: Schlafwandlerisch nur mit dem Gas und seltenem Schalten. Es schläfert gewiß manchen Impuls der edlen Kunst des Motorradfahrens ein, doch wie man's auch nimmt: Die erste Automatik wird wohl nicht die letzte sein, schon wegen dem Konkurrenz-Zugzwang. Das Kapitel ist aufgeschlagen.

 

Paul Simsa

Moto Guzzi V 1000 Hydro Convert

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