Aus KRADBLATT 4/00
von Klaus Herder
Um es auf den Punkt zu bringen: Ausgerechnet die treuesten Guzzi-Fans ruinierten den Guzzi-Ruf am nachdrücklichsten. Serienmäßige Guzzis waren nämlich nie wirklich schlecht und unzuverlässig, aber die totgeschraubten Das-kann-ich-selbst-machen-Krücken sorgten dafür, dass Moto Guzzi für Außenstehende zum Inbegriff überteuerter Italo-Schlamperei wurde.
Erschwerend kam hinzu, dass von den Alt-Fans, die ihre Maschinen mit Vorliebe aus fünfter Hand kaufen, kein Händler und vor allem kein Hersteller leben kann. Das genaue Gegenteil spielt sich übrigens bei BMW ab: Die Bayern können präsentieren was sie wollen - noch bevor das Teil überhaupt im Laden steht, liegen schon die ersten Bestellungen vor. Guzzi konnte sich in der jüngeren Vergangenheit den Wolf präsentieren, gekauft hat dann aber doch kein Schwein.
Neue Modelle müssen also neue Käuferschichten erschließen, und so legte sich Moto Guzzi mit der bereits 1997 präsentierten und seit Herbst 1999 endlich lieferbaren V11 Sport kräftig ins Zeug: Neuer Rahmen, neues Getriebe, ein kräftig überarbeiteter Motor und das alles in einer leckeren Verpackung, die italienisches Formgefühl auf eine Art und Weise zeigt, die moderne und traditionelle Stilelemente gelungen vereint. „Retro-Naked-Bike" nennt Moto Guzzi das, wobei sich „Retro" auf die nicht zu übersehende Ähnlichkeit zur V7 Sport von 1972 bezieht. Grüne Lackierung, roter Rahmen - die 70 PS starke 750er rannte echte 200 km/h und war mit einem traumhaft spurstabilen Fahrwerk gesegnet.
Die V11 lässt noch ein paar mehr Pferde galoppieren: 91 PS bei 7800 U/min leistet der luftgekühlte 90-Grad-V-Zweizylindermotor. Der von einer Einspritzanlage befeuerte 1100er-Zweiventiler ist in seinen Grundzügen ein alter Bekannter. Der Ventiltrieb via untenliegender Nockenwelle, Stoßstangen und Kipp-hebel stammt zwar noch aus der Frühzeit der Motorisierung, muss deswegen aber ja nicht schlecht sein. Die Brennräume, Kolben und Ansaugwege überarbeiteten die Guzzi-Techniker, die Einspritzanlage und das Motormanagement ließen sie ebenfalls nicht unangetastet. So liegen satte 94 Nm maximales Drehmoment bei 6000 U/min an. Der Motor und das völlig neu konstruierte Sechsganggetriebe stehen über eine hydraulisch betätigte Zweischeiben-Trockenkupplung in Verbindung. Über allem thront der ebenfalls neue Zentralrohrrahmen aus Vierkant-Stahlprofilen.
Sich häuslich einzurichten fällt auf der V11 Sport leicht. Die Lenkerstummel sind in Höhe und Kröpfung einstellbar, und der 800 mm über dem Erdboden untergebrachte Sitzplatz schmeichelt dem Fahrerhintern. Die Fußrasten sind da montiert, wo sie tourensportlich ambitionierte Fahrer haben möchten, und die etwas klobig geratene Instrumentenkonsole liegt gut im Blickfeld. Einspritzanlage und elektronisches Motormanagement sollten eigentlich Garanten für einen problemlosen Kaltstart sein, doch der Ballermann lässt sich gern etwas bitten. Läuft der Twin aber erst einmal, gibt's keine Probleme mehr mit Gas-annahme und Rundlauf - beides ist tadellos. Die manuelle Standgasanhebung kann sofort zurückgenommen werden.
Bereits auf den ersten Metern fällt die neue Schaltbox auf. Und zwar äußerst positiv. Butterweich, leise und exakt lassen sich die Gänge wechseln. Die Kupplung ist fein dosierbar und überraschend leichtgängig. Die Schaltwege mögen für Fahrer japanischer Motorräder etwas lang sein, doch BMW- und Guzzi-Kennern fallen sie nicht weiter auf. Die Fahrer älterer Kardanwellen-Modelle wundern sich auch nicht über das Fahrstuhlfahren beim Beschleunigen und Gaswegnehmen. Die lange V11-Schwinge besitzt zwar eine Momentabstützung, doch die Lastwechselreaktionen kommen trotzdem spür- bar durch. Moderne BMW-Modelle können das deutlich besser. Die klingen dafür bescheidener, denn der Guzzi-Sound ist immer noch genial. Der Twin grummelt zwar nicht übermäßig laut, dafür aber wunderbar satt und kernig. Zum Hörgenuss tragen nicht nur die dem Auspuff entfleuchenden Bässe bei, die mechanischen Geräusche auf der Ansaugseite und vom Ventiltrieb sind auch nicht ohne.
Ab 1500 U/min geht's mit der V11 Sport ruckfrei voran. Bei 3000 U/min erlaubt sie sich einen ganz leichten Durchhänger, um anschließend um so brachialer loszustürmen. Bis über 7000 Touren geht es dann sehr, sehr flott voran. Den Sprint von 0 auf 100 erledigt die Guzzi in unter vier Sekunden, als Vmax stehen knapp 220 km/h auf der Uhr. Dafür braucht man dann schon die Autobahn, doch die verträgt die V11 Sport ganz und gar nicht. Ab 140, 150 km/h schwänzelt der Twin, dass es keine wahre Freude ist. Die Fuhre pendelt. Nicht übermäßig stark und vor allem nicht gefährlich, aber immerhin so nervig, dass es einen schleunigst zurück auf die Landstraße zieht. Und genau dort ist die Italienerin in ihrem Element. Kurven können gar nicht eng genug sein, denn die V11 Sport ist extrem handlich. Verkürzter Radstand, steilerer Lenkkopfwinkel und kurzer Nachlauf machen die mit 22 Litern vollgetankt immerhin 245 kg schwere Guzzi zum ultraflinken Kurvenräuber. Knieschleifer-Nutzer mokieren sich vielleicht über in Schräglage etwas früh aufsetzende Bauteile wie Seitenständer (links herum) oder auch Endtopf (in Rechtskurven), der Guz- zi-Normalheizer kommt mit der gebotenen Schräglagenfreiheit aber gut klar. Superhandlich ist sie also, doch bevor nun gelangweilte Reiskocher-Piloten mit wehenden Fahnen ins Guzzi-Lager überlaufen, sei noch eine überaus ernst gemeinte Warnung ausgesprochen: Die V11 Sport ist nichts für Anfänger und Hektiker. Gar nichts! Wer gern digital am Quirl dreht, wer nicht weiß, wie eine Kurve unter Zug durchfahren wird, wer Hanging-off als die einzig mögliche Fortbewegungsart praktiziert, der wird mit der V11 Sport garantiert ernste Schwierigkeiten bekommen. Die Guzzi nimmt Hektik am Gasgriff überaus übel. Sie bockt, sie versetzt, sie versaut jeden sauberen Strich. Und das besonders, wenn der Fahrbahnbelag nicht topfeben ist. Ihre Lastwechselreaktionen können nervösen Gemütern das Motorradfahren kräftig verleiden. Die Guzzi verlangt nach einem souveränen Fahrer, der mit Beginn der Kurve alle vorbereitenden Maßnahmen abgeschlossen hat und sich voll und ganz darauf konzentrieren kann, die Biegung sauber und unter Zug zu umrunden. Wer das beherrscht, kann mit der Guzzi sehr zügig und mit mächtig viel Spaß unterwegs sein. Alle anderen sollten lieber zu Motorrädern vom Schlage einer Honda CBR 600 F greifen.
Wer übrigens meint, das etwas sensible Fahrverhalten durch ausführliches Spielen an den Federelementen in den Griff bekommen zu können, liegt voll daneben. Zwar lassen sich bei der einigermaßen komfortablen Marzocchi-Upside-down-Gabel die Zug- und Druckstufendämpfung und beim beinharten White-Power-Federbein zusätzlich auch noch die Federbasis verstellen, doch an der nur bedingt geglückten Grundabstimmung ändert sich dadurch nicht viel. Fahrwerksmäßig am besten fährt derjenige, der immer und überall einen möglichst schweren Sozius mitführt. Der Mitfahrer mag sich vielleicht über die etwas knapp bemessene Sitzfläche und die zu hoch montierten Sozius-Fußrasten beschweren, doch im Hinblick auf das verbesserte Fahrverhalten sollte einem das die Sache wert sein.
Für die Bremsanlage gelten keine besonderen Verhaltensregeln. Der von Brembo stammende Doppelscheiben-Stopper im Vorderrad erledigt seinen Job ebenso unauffällig wie sein Solo-Partner im Hinterrad. Die Dinger sind zwar keine Offenbarung und etwas gefühllos, für den Betrieb abseits der Rennstrecke aber völlig ausreichend.
Die Moto Guzzi V11 Sport ist in Grün, Silber oder Schwarz lieferbar und kostet 20.600 Mark. Eine BMW R 1100 R kostet weniger, ist vernünftiger und kann fast alles besser. Eine Buell X1 Lightning kostet praktisch genauso viel und ist deutlich schriller. Wer also sollte zur V11 Sport greifen? Vielleicht gestandene Motorradfahrer, die bis auf Moto Guzzi schon alles andere gefahren haben und doch immer eine heimliche Liebe zu Italo-Bikes verspürten. Die V11 Sport ist ein Genussmittel für den schnellen Kick am Sonntagmorgen. Es ist ihr zu wünschen, dass sie von verschlimmbessernden Alt-Guzzi-Kunden verschont bleibt.