Fahrbericht:
Moto Guzzi Nevada Classic 750 i.e.

aus KRADBLATT 06/02

von Klaus Herder


ImageDie traurige Zahl lautet 531. Genau so viele - besser: so wenige - Neuzulassungen hat Moto Guzzi bis Ende Juli 2004 in Deutschland unters Volk gebracht. Das ist ein sattes Minus von über 42 Prozent im Vergleich zum auch nicht gerade berauschenden Vorjahr. Während BMW und Harley-Davidson mit der Charakter- und Mythos-Masche ordentlich verkaufen, wurstelt der nicht minder traditionsreiche Hersteller aus Italien seit Jahren am wirtschaftlichen Abgrund herum. Moto Guzzis galten früher als begehrenswerte Männermaschinen und hatten ein durchaus positiv besetztes Image. Heutzutage haben sie gar kein Image mehr. Das ist fast schlimmer, als irgendeinen fiesen Ruf zu haben. Für Motorrad-Outlaws interessieren sich wenigstens noch die Exoten-Fans, für Moto Guzzi interessiert sich momentan fast niemand.
Was die Hubraum-Mittelklasse angeht, ist dieser bedauernswerte Umstand eindeutig hausgemacht. Mit einer fast schon bewundernswerten Sturheit hielt Moto Guzzi bislang an der schwülstigen, im mäßig flotten Stil der frühen achtziger Jahre daherkommenden Nevada 750 fest. Ihr Verkaufserfolg war entsprechend: 46 Stück im Jahre 2003. Die Wurzeln des 750er-Barockengels in Guzzis V-Zweizylinderprogramm reichten bis zur berüchtigten V 35/V 50 C des Jahres 1982 zurück. Aus C wurde 1986 Florida; Florida hieß ab 1991 Nevada. Das machte die Sache aber auch nicht besser, denn am verschlafenen Vergasermotor und dem eher mäßigen Fahrwerk änderte es nichts. Richtig weh tat das Moto Guzzi bislang aber anscheinend nicht, denn in Italien verkauften sich C, Florida und Nevada gar nicht so übel. Von 1982 bis 2003 baute Moto Guzzi exakt 36.023 Exemplare des Chopper-Cruiser-Verschnitts, die meisten davon blieben im Lande, allein 2003 waren es über 1000 Stück.
ImageDoch der heimische Markt allein ernährt mittlerweile keinen Motorradhersteller mehr. Eine kräftige Nevada-Überarbeitung war im Hinblick auf schärfere Abgas-Grenzwerte und auf den Einstieg in den bislang Nevada-freien Markt USA längst überfällig. Die Techniker im norditalienischen Mandello del Lario gingen die Angelegenheit recht radikal an und versenkten erst einmal 383 von 441 Bauteilen im Comer See. Logische Konsequenz der Aktion: Satte 87 Prozent aller Komponenten sind ganz neu oder zumindest komplett überarbeitet. Oder aber gut geklaut, denn die im vergangenen Jahr präsentierte Moto Guzzi Breva 750 (siehe KRADBLATT 10/2003) diente für die neue Nevada als Organspenderin und lieferte den mit einer Einspritzanlage samt geregeltem Dreiwege-Katalysator bestückten Twin. Das Fünfganggetriebe und die Aluschwinge stammen ebenfalls aus der Breva; der konventionelle Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen und die rot illuminierten Instrumente sind auch Breva-Leihgaben. Die schicke Heckpartie, die - zumindest für den Fahrer - überaus bequeme Sitzbank, der 18-Liter-Tank und auch die hübschen Drahtspeichen-Räder kommen allerdings nicht vom Schwestermodell, sie sind einzig und allein der neuen Nevada vorbehalten.
Bei der Nevada-Modellpflege kam ein Motorrad heraus, das deutlich gefälliger und viel moderner als das Vorgängermodell aussieht, sich wesentlich einfacher bedienen läßt und einfach viel mehr Spaß macht. Kalt- und Warmstart klappen völlig problemlos. Lenker, Fußrasten sowie Sitzbank passen kleinen Italienern und langen Norddeutschen gleichermaßen gut. Allerdings ist die Einsteiger-Guzzi ein klarer Fall für Einzeltäter, denn zu zweit wird's mächtig eng, die Fahrer-Schienbeine stoßen dann an die Ventildeckel. Die aufrechte Fahrer-Sitzposition ist glücklicherweise nicht so hecklastig wie bei den meisten anderen Choppern/Cruisern. Der Kupplungshebel steht nicht mehr so weit wie beim Vorgängermodell ab, die Bedienung klappt nun tadellos und ohne viel Kraftaufwand. Gleiches gilt fürs Getriebe: nicht ganz Japan-Standard, aber deutlich besser als bei der alten Nevada.
ImageVon gängiger Einstiegscruiser-Massenware unterscheidet sich die neue Nevada vor allem durch ihre überraschende Agilität. Sie ist viel leichter (vollgetankt nur um die 200 kg), quirliger und handlicher als Intruder, Shadow, Drag Star, Sportster, VN und Co. Zum Vergleich: Die nur unwesentlich stärkere Harley-Davidson Sportster 883 muß satte 60 Kilo mehr mit sich herumschleppen. Die Moto Guzzi Nevada hat vom Fahrverhalten eigentlich nichts Cruisertypisches, ist eher ein verkapptes Naked Bike, also ein ganz normales, unverkleidetes Motorrad, auf dem man halt besonders bequem sitzt. Der drehfreudige, gut am Gas hängende und 48 PS starke Zweiventil-Motor sowie die erstaunlich große Schräglagenfreiheit verführen selbst eher zurückhaltende Fahrernaturen zum genußvollen Angasen. Bereits ab 1000 U/min geht's ruckfrei voran, ab 2000 U/min macht's richtig Spaß, bei 4000 Touren stehen im fünften Gang 100 km/h auf der Uhr, und erst bei knapp 7000 Touren und zirka 160 km/h geht dem erstaunlich durchzugstarken Twin die Luft aus. Im unteren Drehzahlbereich klingt der luftgekühlte Motor eher harmlos, ab 4500 Touren geht aber nicht nur Guzzi-Fans das Herz auf.
ImageDie Marzocchi-Gabel und die beiden Federbeine sind keine Offen barung. Auf pottebener Bahn fallen sie zwar nicht unangenehm auf, doch sobald es etwas flotter um mit Bodenwellen bestückte Kurven geht, bringen die unsensiblen Bauteile etwas Unruhe ins Fahrwerk. Völlig unschuldig an eventuellen Fahrwerksunruhen ist der Endantrieb via Kardan. Lastwechselreaktionen sind für die Welle ein Fremdwort. Nicht zu meckern gibt's auch über die Brembo-Stopper. Die Vierkolbenzange im Vorderrad hat die 320-Millimeter-Scheibe stets souverän und fein dosierbar im Griff. Die Hinterrad-Scheibenbremse steht dem nicht nach und unterstützt sie bestmöglich. Die Nevada rollt auf Reifen im eher bescheidenen Format 100/90-18 vorn und 130/90-16 hinten. Das gibt möglicherweise leichte Abzüge bei der Show-Wertung, hat ansonsten aber eigentlich nur Vorteile und dürfte mit ursächlich für die tolle Handlichkeit sein. Bis auf den zu kurzen Seitenständer-Ausleger und den zu langen Seitenständer sind den Konstrukteuren keine groben Schnitzer unterlaufen, die Nevada ist auch im Detail gut gemacht.
Für die in „Light Grey" und „Moto Guzzi Black" lieferbare Nevada 750 Classic i.e. ruft der gebeutelte Guzzi-Händler 7690 Euro inklusive Nebenkosten auf. Das ist ein durchaus klassenüblicher Tarif. Die Verarbeitung der Italienerin ist ebenfalls klassenüblich ordentlich. Ganz und gar nicht klassenüblich ist die Kombination Einspritzung-Kat-Kardan - und das in Verbindung mit einer ebenfalls völlig klassenunüblichen Agilität und Handlichkeit. Im Falle der neuen Nevada hat Moto Guzzi es überhaupt nicht nötig, auf die Mythos-Pauke zu hauen. Die 750er ist auch fernab jeder Charakter-Schwafelei einfach ein gutes Motorrad, das es verdient hat, bei der Cruiser-Kaufentscheidung zumindest in die engere Wahl gezogen zu werden.