Moto Guzzi Centauro/Sauer Wing-Super-Sport zijspantest (D)

Aus KRADBLATT 03/98

Von Günther Pfeifer

Es war wieder einmal einer jener Tage, an denen man deutlich feststellt, daß die Hersteller von absolut regendichter Motorradbekleidung doch nicht immer die Wahrheit sagen. Wer jedoch in Norddeutschland lebt, der wird sich von den ImageWidrigkeiten der Witterung kaum beeindrucken lassen, wenn ein Moto Guzzi-Gespann für einen Fahrbericht auf ihn wartet. Der Kunde, ein Hamburger Moto-Guzzi Händler, lieferte eine V10 Centauro in Brodersby beim Gespannbauer Peter Sauer an. Und da es ein Motorradgespann der Superklasse mit sportlicher Note werden sollte, war für Peter Sauer und sein Team zunächst einmal Konstruktionsarbeit angesagt. Moderne und meist nach unten offene Rahmenbauweisen, bei denen der Motor tragende Aufgaben übernimmt, machen es Gespannbauern nicht einfach, Motorrad und Seitenwagen zu einer Einheit zu koppeln. Auch das Sauer-Team mußte einen aufwendigen Hilfsrahmen entwerfen, der über vier Festpunkte, zwei obere und zwei untere, das Schräglenker-Langschwingenfahrwerk des Wing-Super-Sport Seitenwagens mit der Zugmaschine verbindet. An den Verbindungspunkten setzte Peter Sauer seine bewährten, vibrationsdämpfenden Federstreben mit Silentbuchsen ein.
ImageZur Vorderradführung wurde eine Achsschenkellenkung der Firma Hermeling eingebaut. Diese sehr stabile Konstruktion aus Vierkant-Stahl-Profilen erschien besonders geeignet, die starken Lenkkräfte des großen Gespannes auf die Straße zu bringen. Mit qualitativ hochwertigem Korrosions- und Oberflächenschutz versehen, nimmt diese Achsschenkellenkung eine LM Felge 6x14 mit 165/65er Reifen auf. Ein Federbein von Reiger soll in allen Fahrsituationen dafür sorgen, daß das Vorderrad den Bodenkontakt nicht verliert. Das 15 Zoll Hinterrad trägt einen 175/65er Reifen. Ein Federbein von Reiger wurde mit einer stärkeren Feder versehen und in Zug- und Druckstufe verändert. Das dritte Rad im optisch sehr ansprechenden Autec Design von LM, passend zum Vorderrad, trägt einen 175/60x13er Reifen. Für Fahrkomfort sorgt hier ein Federbein von Bilstein.
Die eingebaute Integralbremsanlage kann man zweifelsfrei als perfekt bezeichnen. Vorne wirken auf eine Bremsscheibe zwei voneinander getrennte Bremssättel, ebenso wie am Seitenwagenrad. Über den Fußbremshebel werden somit alle drei Räder verzögert. Bei Betätigung der Handbremse wird jeweils ein zweiter Bremssattel im Vorderrad und im Seitenwagenrad aktiv. Noch besser läßt sich eine Bremsanlage für ein Motorradgespann kaum bauen. Auch die Einscheibenbremse im Vorderrad wird mit der kinetischen Energie im Fahrbetrieb spielend fertig. Ob hier ein schnellerer Verschleiß der Scheibe auftritt, muß über einen längeren Zeitraum beobachtet werden.
ImageDer Wing-Seitenwagen ist ein Zweisitzer und demzufolge auch mit zwei Sicherheitsgurten ausgestattet. Die große Einstiegsklappe läßt sich weit öffnen und wird durch einen Dämpfer gehalten. Dadurch wird das Ein- und Aussteigen für die Passagiere sehr erleichtert. Die Sitzposition ist bequem, und auch bei Zweipersonenbetrieb ist im Fußraum ausreichend Platz vorhanden. Der Innenraum des Bootes wurde durch ein besonderes Verfahren mit Teppichmaterial beschichtet, das einfach zu reinigen und ausgesprochen pflegeleicht ist. Insgesamt ist der Wing-Super-Seitenwagen sehr sauber verarbeitet. Alle Schraubenköpfe und Bohrungen sind mit Schutzkappen versehen. Die Öffnungen für die Verstrebungen im Fuß- und Kofferraum sind mit Faltenbälgen verschlossen. Der große Kofferraum ist wasserdicht und verschließbar. Ein Spoiler ziert die Kofferraumklappe. Hier kann jedoch auch ein Kofferträger montiert wer den. Eine Frontscheibe aus Sauer-Sicherheitglas Macrolon bietet nahezu Vollschutz für die Passagiere im Boot, obwohl sie nur ungefähr 26 Zentimeter hoch ist.
Insgesamt paßt der Seitenwagen zum sportlichen Eindruck des Gespannes. Der vordere untere Spoiler rollt in einer Höhe von nur wenig mehr als 10 Zentimeter über den Asphalt. Die Abdeckung der Achsschenkellenkung, der vordere Kotflügel und die linke äußere Verkleidung sind aus Kunststoff mit einer Materialstärke von etwa sieben Millimeter hergestellt. Damit sind diese Teile sehr stabil und halten sicher auch härteren Steinschlägen stand. Außerdem prägen sie in Formgebung, Farbe und Design die Vorderansicht des Gespannes. Zur Demontage der Verkleidungsteile für Pflege- und Instandsetzungsarbeiten genügt ein 10er Schlüssel.
ImageDie Moto Guzzi V10 Centauro als Zugmaschine in einem solchen Gespann, läßt die Herzen vieler Gespannfreaks höher schlagen. Waren doch die großen Guzzis, neben den Bayern-Boxern, in den 70er und 80er Jahren in der Gespannfahrerszene ausgesprochen beliebt. Und diese Centauro ist wieder eine Guzzi allererster Güteklasse. Wenn auch ein gewaltiger Brocken Eisen mit imposanten Ausmaßen. Der große, bauchige Tank, das breite ausladende Heck, eine dicke fast gerade Lenkstange und ein nostalgisch anmutender Instrumententräger zeigen, daß der Adler aus Mandello nicht mehr so konservativ ist und sich in Stil und Design weit aus seinem Horst wagt. Trotzdem bleibt die Centauro völlig kompromißlos eine Moto Guzzi.
Die voluminösen zwei Zylinder arbeiten im Viertaktverfahren in einer 90 Grad V-Anordnung und mit längsliegender Kurbelwelle. In den Köpfen werden je vier Ventile über Nockenwelle, Stößel und Kipphebel betätigt. Saugrohreinspritzung und kontaktlose Transistorzündung zeigen modernen Ausrüstungsstandard. Für den Kraftschluß zwischen Motor und Fünf-ganggetriebe sorgt eine Zweischeiben-Trockenkupplung mit mechanischer Betätigung. Bei dieser Anordnung ist auch schon klar, daß das Hinterrad über einen Kardan angetrieben wird.
Der kleine Betätigungshebel für den Choke liegt versteckt hinter Spiegelarm und Schaltereinheit am linken Lenkerende. Nach dem Druck auf den Starterknopf erweckt der E-Starter den Vau zum Leben. Er rüttelt sich und schüttelt sich und... halt das habe ich woanders gelesen, aber es stimmt. Man hat bei niedrigen Drehzahlen den Eindruck die Zylinder arbeiten nicht mit- sondern gegeneinander. Dieses konträre Verhalten ändert sich bei Drehzahlerhöhung sofort, und über 3.000 U/min wird der 1.000 Kubik V2 dann sogar recht sanft. Durch die elektronische Saugrohreinspritzung von Weber-Marelli vergeht die Warmlaufphase nahezu unbemerkt. Das Triebwerk nimmt schnell und sauber Gas an und zieht das Gespann vehement nach vorn. Bereits auf den ersten Kilometern merkt man die deutlichen Vorteile der eingebauten Achsschenkellenkung. Sie ist sehr direkt und ausgesprochen leichtgängig, und weil diese Eigenschaften eben sehr deutlich zu spüren sind, sollten auch eingefleischte Gespannfahrer sich eine gewisse Anzahl von Kilometern zur Eingewöhnung gönnen. Denn gerade diese Leichtgängigkeit, sie ist noch erheblich ausgeprägter als bei einer geschobenen Schwinge, kann bei hohen Geschwindigkeiten zu Problemen führen.
Das Centauro-Wing-Gespann ist optimal eingestellt und besitzt einen hervorragenden Geradeauslauf. Mit exakter Spurtreue folgt es den Lenkeingaben des Fahrers und vermittelt so ein Gefühl der Sicherheit. Das Vorderrad klebt nahezu am Boden und läuft zielsicher durch jede Art von Kurven. Das Seitenwagenrad verliert in scharf gefahrenen Rechtskurven den Bodenkontakt dank guter Schwerpunktlage nicht, oder erst sehr spät. Die Überschlagsgefahr bei überzogener Geschwindigkeit in Linkskurven ist gering, da vorher eher das Hinterrad wegschmiert. Insgesamt ist die Guzzi Centauro also ein sehr sicher zu fahrendes Motorradgespann. Aufgrund dieser Tatsache erwischt man sich dann auch dabei, daß man schneller fährt als man eigentlich sollte. Dies wird durch den gewaltigen Vorwärtsdrang des Motors, der oberhalb von 4.500 U/min einsetzt, noch unterstützt. Drehzahlmesser und Geräuschkulisse erinnern dann an den nächsthöheren Gang. Zaghaft sollte sich der Schaltfuß nicht verhalten. Langer Schaltweg und deutlich hörbares Einrasten erinnern wieder daran, das man eine echte Guzzi fährt. Im fünften Gang geht es dann gemächlicher zu. Hier spielt sicherlich die Übersetzung eine Rolle, die sich daraus ergibt, daß der Abrollumfang des Originalreifens der Solomaschine größer ist, als beim montierten 175/65x15er auf dem Gespannhinterrad. Im Fahrbetrieb spielt dieses jedoch nur eine untergeordnete Rolle, und es wäre unsinnig, die Kegelräder im Antrieb zu ändern. Das Gespann fährt so wie es ist sportlich und schnell. Wer es ständig eilig hat, bezahlt dieses an der Tankstelle mit einem Zuschlag. Im Normalbetrieb, also bei Fahrten zwischen 4.000 und 6.000 U/min ist ein Kraftstoffverbrauch von circa acht Liter Super-Bleifrei je 100 Kilometer meßbar. Wer schneller unterwegs ist, hat seine 19 Liter Tankinhalt nach etwa 200 Kilometern verbraucht. Eine Warnleuchte in der Instrumententafel macht jedoch rechtzeitig auf die Dringlichkeit des Tankens aufmerksam.
Der Fahrkomfort entspricht der sportlichen Note. Eine Sänfte ist dieses Gespann nicht, obwohl das Sauer-Team einiges für Federung und Dämpfung getan hat. Man spürt deutlich, wie die Fahrbahn unter den Rädern beschaffen ist; besonders der Fahrer, denn die Sitzbank ist recht hart. Seine Sitzposition liegt irgendwo zwischen sportlich und tourenmäßig, je nach Körpergröße. Kleinere Fahrer werden es auf längeren Touren schwerer haben, und der durch Verkleidungen verwöhnte Biker spürt endlich mal wieder, was Wind und Wetter so zu bieten haben. Etwas komfortabler geht es für die Passagiere im Seitenwagen zu. Der Windschutz ist gut. Guzzi-Sound ist ausreichend vorhanden, und von Auspuffgasen wird der Mitfahrer nicht belästigt. Wer mit leerem Seitenwagen unterwegs ist, kann die mitgelieferte Spritzdecke anbringen. Sie ist über Druckknöpfe leicht zu montieren und flattert während der Fahrt nicht. Außerdem schließt sie den Seitenwagen nahezu wasserdicht ab. Insgesamt ist die V10 Centauro mit dem Wing Super Sport ein rundum gelungenes Motorradgespann. Optisch ein echter Blickfang und fahrerisch nahezu perfekt. Wer will da noch über den fehlenden Kat oder die offen laufende Kardanwelle diskutieren.
Wer das schöne Gespann sehen möchte, der wende sich bitte an die Firma Moto Differenza in Hamburg, Telefonnummer 040/6591036.