Aus KRADBLATT 03/98
Von Günther Pfeifer
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Die eingebaute Integralbremsanlage kann man zweifelsfrei als perfekt bezeichnen. Vorne wirken auf eine Bremsscheibe zwei voneinander getrennte Bremssättel, ebenso wie am Seitenwagenrad. Ãber den FuÃbremshebel werden somit alle drei Räder verzögert. Bei Betätigung der Handbremse wird jeweils ein zweiter Bremssattel im Vorderrad und im Seitenwagenrad aktiv. Noch besser läÃt sich eine Bremsanlage für ein Motorradgespann kaum bauen. Auch die Einscheibenbremse im Vorderrad wird mit der kinetischen Energie im Fahrbetrieb spielend fertig. Ob hier ein schnellerer Verschleià der Scheibe auftritt, muà über einen längeren Zeitraum beobachtet werden.
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Insgesamt paÃt der Seitenwagen zum sportlichen Eindruck des Gespannes. Der vordere untere Spoiler rollt in einer Höhe von nur wenig mehr als 10 Zentimeter über den Asphalt. Die Abdeckung der Achsschenkellenkung, der vordere Kotflügel und die linke äuÃere Verkleidung sind aus Kunststoff mit einer Materialstärke von etwa sieben Millimeter hergestellt. Damit sind diese Teile sehr stabil und halten sicher auch härteren Steinschlägen stand. AuÃerdem prägen sie in Formgebung, Farbe und Design die Vorderansicht des Gespannes. Zur Demontage der Verkleidungsteile für Pflege- und Instandsetzungsarbeiten genügt ein 10er Schlüssel.
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Die voluminösen zwei Zylinder arbeiten im Viertaktverfahren in einer 90 Grad V-Anordnung und mit längsliegender Kurbelwelle. In den Köpfen werden je vier Ventile über Nockenwelle, StöÃel und Kipphebel betätigt. Saugrohreinspritzung und kontaktlose Transistorzündung zeigen modernen Ausrüstungsstandard. Für den Kraftschluà zwischen Motor und Fünf-ganggetriebe sorgt eine Zweischeiben-Trockenkupplung mit mechanischer Betätigung. Bei dieser Anordnung ist auch schon klar, daà das Hinterrad über einen Kardan angetrieben wird.
Der kleine Betätigungshebel für den Choke liegt versteckt hinter Spiegelarm und Schaltereinheit am linken Lenkerende. Nach dem Druck auf den Starterknopf erweckt der E-Starter den Vau zum Leben. Er rüttelt sich und schüttelt sich und... halt das habe ich woanders gelesen, aber es stimmt. Man hat bei niedrigen Drehzahlen den Eindruck die Zylinder arbeiten nicht mit- sondern gegeneinander. Dieses konträre Verhalten ändert sich bei Drehzahlerhöhung sofort, und über 3.000 U/min wird der 1.000 Kubik V2 dann sogar recht sanft. Durch die elektronische Saugrohreinspritzung von Weber-Marelli vergeht die Warmlaufphase nahezu unbemerkt. Das Triebwerk nimmt schnell und sauber Gas an und zieht das Gespann vehement nach vorn. Bereits auf den ersten Kilometern merkt man die deutlichen Vorteile der eingebauten Achsschenkellenkung. Sie ist sehr direkt und ausgesprochen leichtgängig, und weil diese Eigenschaften eben sehr deutlich zu spüren sind, sollten auch eingefleischte Gespannfahrer sich eine gewisse Anzahl von Kilometern zur Eingewöhnung gönnen. Denn gerade diese Leichtgängigkeit, sie ist noch erheblich ausgeprägter als bei einer geschobenen Schwinge, kann bei hohen Geschwindigkeiten zu Problemen führen.
Das Centauro-Wing-Gespann ist optimal eingestellt und besitzt einen hervorragenden Geradeauslauf. Mit exakter Spurtreue folgt es den Lenkeingaben des Fahrers und vermittelt so ein Gefühl der Sicherheit. Das Vorderrad klebt nahezu am Boden und läuft zielsicher durch jede Art von Kurven. Das Seitenwagenrad verliert in scharf gefahrenen Rechtskurven den Bodenkontakt dank guter Schwerpunktlage nicht, oder erst sehr spät. Die Ãberschlagsgefahr bei überzogener Geschwindigkeit in Linkskurven ist gering, da vorher eher das Hinterrad wegschmiert. Insgesamt ist die Guzzi Centauro also ein sehr sicher zu fahrendes Motorradgespann. Aufgrund dieser Tatsache erwischt man sich dann auch dabei, daà man schneller fährt als man eigentlich sollte. Dies wird durch den gewaltigen Vorwärtsdrang des Motors, der oberhalb von 4.500 U/min einsetzt, noch unterstützt. Drehzahlmesser und Geräuschkulisse erinnern dann an den nächsthöheren Gang. Zaghaft sollte sich der Schaltfuà nicht verhalten. Langer Schaltweg und deutlich hörbares Einrasten erinnern wieder daran, das man eine echte Guzzi fährt. Im fünften Gang geht es dann gemächlicher zu. Hier spielt sicherlich die Ãbersetzung eine Rolle, die sich daraus ergibt, daà der Abrollumfang des Originalreifens der Solomaschine gröÃer ist, als beim montierten 175/65x15er auf dem Gespannhinterrad. Im Fahrbetrieb spielt dieses jedoch nur eine untergeordnete Rolle, und es wäre unsinnig, die Kegelräder im Antrieb zu ändern. Das Gespann fährt so wie es ist sportlich und schnell. Wer es ständig eilig hat, bezahlt dieses an der Tankstelle mit einem Zuschlag. Im Normalbetrieb, also bei Fahrten zwischen 4.000 und 6.000 U/min ist ein Kraftstoffverbrauch von circa acht Liter Super-Bleifrei je 100 Kilometer meÃbar. Wer schneller unterwegs ist, hat seine 19 Liter Tankinhalt nach etwa 200 Kilometern verbraucht. Eine Warnleuchte in der Instrumententafel macht jedoch rechtzeitig auf die Dringlichkeit des Tankens aufmerksam.
Der Fahrkomfort entspricht der sportlichen Note. Eine Sänfte ist dieses Gespann nicht, obwohl das Sauer-Team einiges für Federung und Dämpfung getan hat. Man spürt deutlich, wie die Fahrbahn unter den Rädern beschaffen ist; besonders der Fahrer, denn die Sitzbank ist recht hart. Seine Sitzposition liegt irgendwo zwischen sportlich und tourenmäÃig, je nach KörpergröÃe. Kleinere Fahrer werden es auf längeren Touren schwerer haben, und der durch Verkleidungen verwöhnte Biker spürt endlich mal wieder, was Wind und Wetter so zu bieten haben. Etwas komfortabler geht es für die Passagiere im Seitenwagen zu. Der Windschutz ist gut. Guzzi-Sound ist ausreichend vorhanden, und von Auspuffgasen wird der Mitfahrer nicht belästigt. Wer mit leerem Seitenwagen unterwegs ist, kann die mitgelieferte Spritzdecke anbringen. Sie ist über Druckknöpfe leicht zu montieren und flattert während der Fahrt nicht. AuÃerdem schlieÃt sie den Seitenwagen nahezu wasserdicht ab. Insgesamt ist die V10 Centauro mit dem Wing Super Sport ein rundum gelungenes Motorradgespann. Optisch ein echter Blickfang und fahrerisch nahezu perfekt. Wer will da noch über den fehlenden Kat oder die offen laufende Kardanwelle diskutieren.
Wer das schöne Gespann sehen möchte, der wende sich bitte an die Firma Moto Differenza in Hamburg, Telefonnummer 040/6591036.