Moto Guzzi Breva 750
aus KRADBLATT 10/03
von Bernhard Hübner
Wenn man den Wetterstrategen Glauben schenken darf, ist der Südwind namens Breva für schönes Wetter in der Gegend um den Comer See zuständig, der Heimat von Moto Guzzi. An schönem Wetter hat es uns in diesem Sommer zwar nicht gefehlt, doch was bisher fehlte, war eine kleine Moto Guzzi. Denn wer eine V 35 oder V 50 besitzt, hat schon hat einen schönen Klassiker in der Garage.
Seit diesem Frühjahr steht die Moto Guzzi V 750 Breva bei den Händlern, ein sogenanntes Naked Bike. Ein typischer Vertreter der Gattung �Klassik trifft Moderne", oder �hochaktuelles Kantendesign (New Edge Design) verbunden mit aparten Rundungen". Auf jeden Fall darf die Linienführung mit dem hohen Tank und seinen tiefen Einbuchtungen für die Knie in Verbindung mit der abgerundeten Sitzbank als absolut gelungen bezeichnet werden. Wir hatten nun die Gelegenheit, auf einer V 750 i.e. Breva des Walsroder Moto Guzzi-Vertragshändlers Kurt Willing (Tel. 05162/2575) ausgiebig Fahreindrücke zu sammeln.
Schon bei der ersten Kontaktaufnahme gibt es eine positive Überraschung, denn trotz der massiven Erscheinung ist die Breva mit fahrfertigen 194 Kilogramm ein wahres Leichtgewicht. Viel Kunststoff bis hin zum 18 Liter-Tank samt Lufthutzen drückt das Gewicht nach unten. Unsicherheiten kommen da beim Rangieren in der heimischen Garage erst gar nicht auf.
Der Fahrer nimmt in einer bequemen Sitzmulde Platz. Der Blick fällt nun auf zwei Rundinstrumente mit LCD-Display sowie die Kontrollleuchten-Konsole und den auffällig in der Mitte platzierten Schalter für die Warnblinkanlage. Neben Kilometer- und Tageskilometerzähler sowie der Uhr hat uns bei Temperaturen von über 30 Grad besonders das serienmäßige Thermometer für die Außentemperatur erfreut. Für Ganzjahresfahrer wird mit dem Glatteis-Warnlicht noch eins draufgesetzt. Der Blick fällt aber auch auf einen gut in der Hand liegenden, schwarz lackierten Stahlrohrlenker und zwei nicht verstellbare Handhebel. Die beiden Rückspiegel mit ihren langen Auslegern bieten eine sehr gute Rücksicht, wirken aber recht klobig und stören dadurch das Gesamterscheinungsbild. Eine optische Zierde hingegen sind die weißen Blinkerkappen.
Das Startverhalten des per elektronischer Einspritzanlage gespeisten Motors ist so exzellent, dass bei hoher Außentemperatur auf die Unterstützung des lenkerfest montierten Chokes verzichtet werden kann. Für die leichtgängige Kupplung ist laut Herstellerinformation ein neues Belagmaterial verantwortlich. Leichtgängig ist auch das Fünfganggetriebe. Lautlos und ohne Kraftaufwand rasten die Gänge ein. Schalten wird so zum Vergnügen, ist aber nicht so häufig erforderlich, denn mit der Breva lässt sich fast alles im fünften Gang erledigen. Erst unter 2000 U/min ist eine niedrigere Gangstufe gefragt. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Motor keine Drehzahlen mag. Im Gegenteil - mit dieser Guzzi lässt es sich sehr zügig fahren. Leicht vergisst der Fahrer, dass er �nur" 48 PS zur Verfügung hat.
Handlichkeit ist eine Tugend der Breva. Zielgenau und ohne jeglichen Kraftaufwand folgt sie der vorgegebenen Richtung, Mit verantwortlich für das agile Handling dürften die eher bescheidenen und für Repräsentationszwecke völlig ungeeigneten Reifengrößen von 110/70-17 (54H) vorne und 130/80-17 (65H) hinten sein. Unsere Vorführmaschine war mit Bridgestone BT 45-Gummis ausgerüstet. Einen zwiespältigen Eindruck hingegen hat die nicht einstellbare 40mm-Marzocchi-Telegabel hinterlassen. Bei Ortstempo ist jeder Gullideckel und jeder Asphaltflicken für den Fahrer unangenehm spürbar, doch bei erhöhtem Tempo außerhalb der Ortschaft bügelt das Fahrwerk fast alles glatt, so wie es sein soll. Fast alles, denn in langgezogenen Kurven auf unebenem Belag kann es vorkommen, dass das Heck der Breva zu tänzeln beginnt. Das ist nicht weiter störend, doch dem in diesem Bereich sensiblen Fahrer kann geholfen werden, denn �für besonders sportlich orientierte Fahrer" bietet Moto Guzzi Bitubo-Stoßdämpfer mit Ausgleichsbehälter und jeder Menge Verstellmöglichkeiten an.
Auch bei unserer �Hochgeschwindigkeitsprüfung" hat sich der Motor wacker geschlagen. In kürzester Zeit stand die Tachonadel bei 180. Bei diesem Wert haben wir abgebrochen, doch nicht etwa, weil der Motor nicht mehr hergeben wollte, sondern wegen dem sehr eingeschränkten Windschutz. Die serienmäßige Cockpitverkleidung konnte etwa bis Tempo 130 überzeugen. Doch sagt das nicht unbedingt etwas über die Qualität der Verkleidung aus, denn mit der Größe des Fahrers variieren bekanntlich die Luftverwirbelungen, und die perfekte Scheibe gibt es eben nicht. Variationsmöglichkeiten bietet Moto Guzzi aber auch hier in Form einer ab Werk lieferbaren höheren Windschutzscheibe sowie einer von 790 auf 750 Millimeter abgepolsterten Sitzbank.
Wenn ordentliche Verzögerungswerte gefragt sind, verlangt die vordere 320mm-Vierkolben-Bremsanlage von Brembo nach einer kräftig zupackenden Hand, und das trotz serienmäßiger Stahlflex-Bremsleitung. Das ist wohl nicht mehr ganz zeitgemäß, und so wünschen wir uns eine zweite Bremsscheibe. In der Zwischenzeit setzen wir auf die unterstützende Wirkung der hinteren Bremsscheibe. Guzzi-typisch wird das Hinterrad über eine Kardanwelle angetrieben, die im Falle der neuen Breva völlig unauffällig und beinahe wartungsfrei arbeitet.
Manchem Leser wird das Problem des Konstantfahrruckelns bekannt sein. Es tritt bei bei Motoren mit Benzineinspritzung und Katalysator auf. Nun besitzt die Breva zwar eine Einspritzanlage und auch einen geregelten Dreiwege-Kat, der ihr zur Abgas-einstufung Euro-2 verhilft, doch dieses unangenehme Konstantfahrruk-keln trifft nicht einmal ansatzweise auf. Die Konstrukteure haben auf diesem Gebiet ganze Arbeit geleistet. Der Benzinkonsum bei durchwachsener Fahrweise hielt sich bei unserem Exemplar mit etwa 4,6 Litern blei-freiem Superbenzin in Grenzen. Der Tankinhalt wird mit 18 Litern angegeben, so dass sich eine Reichweite von ungefähr 390 Kilometern ergibt. Ausprobiert haben wir das nicht, stattdessen haben wir uns auf die Reserve-Kontrolllampe verlassen, die allerdings für unseren Geschmack etwas früh anfängt zu flackern, nämlich nach 250 Kilometern.
Getreu dem Motto �Raum ist in der kleinsten Hütte" geht es unter der Sitzbank sehr beengt zu. So eng, dass das Bordwerkzeug in zwei Taschen aufgeteilt werden musste. Ein kleines Staufach haben wir nach intensiver Suche aber auch entdeckt - es ist in die Sitzbank integriert. Nach der Demontage des linken Seitendeckels ist die Batterie frei zugänglich. Warum wir das erwähnen? Weil es erstens heute nicht mehr selbstverständlich ist und weil es sich zweitens nicht um eine wartungsfreie Batterie handelt. Für die Unterbringung der alltäglichen Utensilien sollte man sich den von Moto Guzzi angebotenen kleinen Tankrucksack zulegen, denn das Spritfass eignet sich weder für Gurte geschweige denn für Magnete. Motor, Getriebe, Gemischaufbereitung - alles haben sich die Ingenieure vorgenommen und optimiert. Angefangen vom größeren Luftfiltergehäuse über die neu beschichteten Zylinderlaufbahnen, die in Verbindung mit den neuen Kolbenringen für deutlich geringeren Verschleiß und damit auch den Ölverbrauch reduzieren sollen bis hin zur neuen Kupplung, deren neue Montagetechnik insbesondere bei niedgigen Drehzahlen für ruhigere Laufeigenschaften des Motors sorgen soll, und das völlig überarbeitete Getriebe mit nun schräg verzahnten Rädern haben die Italiener nichts gelassen, wie es einmal war.
Neben dem erwähnten Zubehör ist auch noch ein Koffersystem sowie ein Bremsscheibenschloss lieferbar, das in dem ebenfalls bereits erwähnten Sitzbankfach seinen Platz findet. Vermisst haben wir dagegen einen Hauptständer in der Zubehörliste. Völlig überflüssig, wird der eine oder andere jetzt denken, doch irgenwann muss der Reifen erneuert werden. An anderer Stelle haben wir bereits die Erfahrung gemacht, dass die Schwingenholme bei kardangetriebenenen Motorrädern unterschiedlich hoch sind und handelsübliche Aufbockvorrichtungen dadurch einen sehr wackeligen Stand verursachen. Der Seitenständer könnte einen etwas längeren Ausleger vertragen, denn das kurze Stück zu treffen, das unter dem Auspuff hervorschaut, ohne sich den Stiefel anzuschmoren, gelingt wahrscheinlich nur bei Tageslicht.
Die Moto Guzzi Breva V 750 i.e. ist für 7650 Euro in rot, schwarz oder silber bei den Vertragshändlern zu haben. Darüber hinaus bietet Moto Guzzi eine Reihe von Modellen zu deutlich reduzierten Sommerpreisen mit oder ohne Finanzierung an. Auskunft über die Verfügbarkeit geben die im Telefonverzeichnis aufgeführten Vertragshändler.
Mit der Breva verfolgt Moto Guzzi nach eigenen Angaben das Konzept der Einfachheit. Gemeint ist damit das spielerische Handling ebenso wie die Wartungsfreundlichkeit, die sich in der guten Zugänglichkeit der Bauteile und den 10.000 km-Inspektionsintervallen niederschlägt. Vielleicht gelingt es den Italienern, mit diesem Konzept der Einfachheit neue Käuferschichten zu erschließen. Denn ein frischer Wind kann der italienischen Traditionsmarke wie der gesamten Zweiradbranche nicht schaden.